Tulus Lotrek: Präsent an allen Fronten

Tulus Lotrek, Berlin *
Ambiente 7
Service 7,5
Getränke 8,5
Essen 8,2
Gesamteindruck 7,9

Meine Bewertung: Max Strohe hat einen durchaus steinigen Weg genommen, bis er sich im Tulus Lotrek einen Michelinstern erkocht hat. Der aktuelle Besuch zeigt: Der zweite ist inzwischen überfällig, denn das Menü beeindruckt mit Qualität und Ideenreichtum auf konstant sehr hohem Niveau.

Die Geschichte hinter dem Restaurant

Die Berliner Fine-Dining-Szene lässt sich - meiner ganz eigenen Systematik nach und weitgehend unabhängig von der (regionalen) Ausrichtung der Küche - in drei Kategorien unterteilen: Die etablierten "Klassiker" (z. B. Rutz, Facil), eher unter dem Radar fliegende Avantgardisten (z. B. Hallmann & Klee, Bonvivant) und sich medial geschickt in Szene setzende Stylo-Locations, welche den Radar bewusst mit der einen oder anderen Marketing-Bewegung zu aktivieren suchen (z. B. Coda, Nobelhart & Schmutzig).

Max Strohes und Ilona Scholls Tulus Lotrek gehört definitiv in die dritte Kategorie und nimmt spätestens mit der aktuell ausgestrahlten Audio-Doku TULUS gar eine besonders prägnante Position innerhalb dieser Kategorie ein. Meine persönliche Meinung dazu ist zwiegespalten: einerseits mag ich das "vom street kid zum Berliner Sternekoch"-Narrativ und finde die beiden im Podcast sympathisch. Andererseits ist mir das zu viel der It-Boy-der-Szene-Inszenierung und auch die bei jeder Gelegenheit, z. B. auf den Bildern der Webseite, dargebotene street credibility (Kippe im Maul und vielleicht noch ein Sterni hinterher) geht mir eher auf den Keks.

Ich will also aktuell schlicht wissen, wie gut die Küche wirklich ist - zumal die Lorbeeren (u. a. von Julien Walther) jedes Behältnis sprengen.

Die Geschichte in Kürze: Strohe wuchs im Kreis Ahrweiler auf und machte dort seine Lehre. Dann arbeitete er hier und da und kam 2007 nach Berlin, wo er u. a. im Frau Mittenmang tätig war. Diese Zeit, in der er auch Ilona Scholl kennenlernte, wird im Podcast ausführlich beschrieben. Im Herbst 2015 eröffneten die beiden das Lokal Tulus Lotrek (nach Henri de Toulouse-Lautrec) - mit durchwachsenem Start und der Initialzündung durch den Bericht eines Tagesspiegel-Kritikers (ebenfalls in der Doku nachzuvollziehen). 2017 wurde dem Restaurant ein Stern verliehen; 2021 erhielten Strohe und Scholl die Verdienstmedaille der Bundesrepublik Deutschland. Was Auftritte im TV betrifft, lässt sich Strohe nicht lumpen: Seit 2019 war er oft bei Kitchen Impossible, Ready to beef!, The Taste, der Küchenschlacht und anderen Formaten, z. T. als Juror.

Die ausführliche, gut erzählte Story findet sich da, wo es Podcasts gibt.

Die Erfahrung

Außenansicht des Berliner Restaurants Tulus Lotrek von Max Strohe und Ilona Scholl. Der Bericht dazu findet sich auf Tanoshimi - Fine Dine & Wein, wo es zahlreiche Restaurantberichte, Restaurantkritiken, Rezensionen und Restaurantbewertungen gibt.

Max Strohes Tulus Lotrek in der Fichtestraße in Kreuzberg

Das Restaurant wirkt wie eine schöne Wohnung mit Holzboden, Ofen und ansprechendem Stuck an der Decke. Es ist schon beachtlich, was Strohe und Scholl aus den vor Bezug wohl abgehalfterten und dreckigen Räumlichkeiten gemacht haben. Originell ist, dass die Namen der Gäste mit Kreide auf den jeweiligen Tisch geschrieben sind und ein Behältnis mit Besteck, aus dem man sich bedienen muss, einfach so auf dem Tisch steht. Während ersteres einladend rüberkommt, nervt letzteres über den Verlauf des vielgängigen Menüs immer mehr. Aus den Boxen kommt ein komplett wilder Musikmix, von Peter Fox zu französischen Chansons zu Alternative Rock und Marteria.

Innenansicht des Berliner Restaurants Tulus Lotrek von Max Strohe und Ilona Scholl. Der Bericht dazu findet sich auf Tanoshimi - Fine Dine & Wein, wo es zahlreiche Restaurantberichte, Restaurantkritiken, Rezensionen und Restaurantbewertungen gibt.

Zur Verschönerung des Innenbereichs mussten die Eigentümer des Tulus Lotrek einige Zeit und Mühen investieren

Nach den Aperitifs - bei mir ein eher unspektakulärer alkoholfreier Rose-Bitter - beginnt das Menü mit einem Beignet mit Forellenrogen, Safran und Schalotten. Der Zusammenklang aus einer nicht unangenehmen Teigigkeit, dem Salz des Rogens und der Würze der anderen Zutaten hält lang an (8). Eine Tartelette mit Otoro-Thunfisch, Wasabi, Estragon und japanischer Kimizusoße folgt. Der feine Schmelz des fetten Thunfischbauchs füllt den Mund, eine komplexe Cremigkeit kommt schnell dazu und der Estragon kickt; viele Nuancen spielen lange zusammen (9). Ein Taco mit Guacamole, Kaisergranat und Jalapenos ist außen knackig und wird innen vom Kaisergranat exzellenter Qualität dominiert. Besonders gut dosiert ist die belebende Schärfe der Jalapenos, die über Minuten am Gaumen tanzt. Ultralang (9).

Der erste offizielle Gang ist Carabinero (Tiefseegarnele) mit Guanciale-Speck, Radiccio, Ajo Blanco und Melone. Allein die Gurken-Melonensauce löffelt man so gerne, während die “Carabineri” in ihrer anmutigen Fülle und der hier noch mal konzentrierten Melonensüße für drei aufregende Peaks sorgen. Wieder perfekt dosierte Schärfe und Länge sind inklusive (8,5).

Carabinero des Berliner Restaurants Tulus Lotrek von Max Strohe und Ilona Scholl. Der Bericht dazu findet sich auf Tanoshimi - Fine Dine & Wein, wo es zahlreiche Restaurantberichte, Restaurantkritiken, Rezensionen und Restaurantbewertungen gibt.

Die Tiefseegarnele in einer Melonensauce sorgt für großes Wohlbefinden

Dann folgt mein Highlight: Jakobsmuschel aus Norwegen, Quinoa, Yuzu, und Karotte-Süßkartoffel-Schaum in Dashi-Nussbutter. Die Flämmung der himmlischen Jakobsmuschel ist perfekt, der Schaum ausgesprochen intensiv. Dazu viel Umami und Salz in der Soße. Die Mischung, die Abstimmung - ein Wahnsinn (9).

Scallop des Berliner Restaurants Tulus Lotrek von Max Strohe und Ilona Scholl. Der Bericht dazu findet sich auf Tanoshimi - Fine Dine & Wein, wo es zahlreiche Restaurantberichte, Restaurantkritiken, Rezensionen und Restaurantbewertungen gibt.

Ein wahres Highlight des Menüs im Tulus Lotrek in Berlin: Jakobsmuschel in Dashi-Nussbutter

Der soufflierte Seesaibling mit Kalbszunge und Schmorgurke in Algenbuttersauce sowie Austeremulsion, sozusagen ein Tulus-Lotrek-"Surf and Turf", bietet viel Umami, schmeckt im besten Sinne sehr butterig, liefert aber durch die Gurke auch immer wieder leicht säuerliche Frischesprenkel (8,5). Koshihikari-Reis mit Akami-Thunfisch, Gochujang (koreanische Gewürzpaste) und kandiertem Ingwer unter Knoblauchsauce ist eine wahre Umami-Atombombe. Der Knoblauch ist mir ein wenig zu präsent, aber Ingwer wirkt als gigantisch eingesetzter Kontrast. Der sushiartig zubereitete und doch knusprig-aromatische Reis bringt die gelungene Ostasien-Frankreich-Melange nahe an die Perfektion (8,5). Einen braisierten Chicorée mit Traubensauce, Ziegenkäse und Haselnuss baue ich ins Menü ein, da mich gerade eine schmerzhafte Absage des Service erreicht hat, wonach es definitiv kein Brot geben wird (und ich noch ziemlich hungrig bin). Die Rieslingtraube bildet hier einen geschmacklichen Rahmen; der Ziegenkäse ist stets präsent; die Haselnüsse feuern erstaunlich krosse Salven auf den inneren Mundraum ab (8).

Jetzt ein weiterer Versuch mit Kalbsbries, diesmal als Variante “Romanoff”. Dazu kommen Lauch, Räucheraal, Blumenkohl, Kaviar und Vanille. Als erstes nehme ich einen Popcorngeschmack wahr, dann wird es wieder sahnig-französisch. Dabei ist die Vanille sehr präsent. Das Bries ist wirklich gut, aber nicht auf höchstem Referenzniveau (Loumi, again) (8). Darauf folgt Reh und Parmesan in einer Sauce Perigourdine, dazu Selleriepüree, Spinat und Trüffel. Der starke Reh-Eigengeschmack wird vom salzigen Spinat stimmig flankiert; Zitronengras ist auch irgendwo enthalten und steuert noch mal eine andere, interessante Note bei (8).

Der erste Nachtisch ist ein Estragoneis mit Lemon-Curd, Himbeere und Kaffir-Limette. Alles ist hier intensiv hoch zwei; der Estragon dominiert schon sehr und es ist eine lächerlich kleine Portion (7,5). Dann folgt Birne und weiße Schokolade mit einer Sternanis-Kardamom-Ingwer-Soße und daneben ein sehr luftiges Soufflé. Sehr stimmig, hocharomatisch, weihnachtlich (8,5). Den Abschluss macht ein Windbeutel mit Crème Brulée. Das ist zu kühl, das Karamell klebt die Zähne schon fast schmerzhaft zusammen und haftet unangenehm an ihnen, was das gesamte Vergnügen zerstört. Das Vergnügen wäre ohnehin von geringer Wucht, da nur eine süßliche Sahnecreme präsent ist (6).

Die Getränkekarte weist eine relativ große internationale Auswahl mit fein ausgewählten Gütern und originellen Zusatzoptionen (Cocktails, Sake etc.) auf. Der Sommelier berät außerordentlich fachkundig und interaktiv, was Spaß macht. Die Preise sind sehr fair (z. T. nur mal zwei).

Das Team ist jung und locker, aber auch erstaunlich formell-korrekt. Unser charmanter und eloquenter Hauptkellner macht die recht uninspirierten Darbietungen einiger anderer einigermaßen wett. Zwischen einigen Gängen liegen derweil lange Pausen, mal folgt ein Gang aber auch unmittelbar auf den vorherigen.

Hungrige GesellInnen laufen hier übrigens Gefahr, nicht satt zu werden, da einige Portionen sehr schmal kalkuliert sind. Die Lösung wäre Brot, wogegen sich Strohe entschieden habe, da alle sonst bei den Hauptspeisen bereits satt seien. Das mag angesichts der Verlockung, die großartigen Saucen aufzusaugen, zwar stimmen, kommt aber als reichlich seltsame Erklärung rüber. Eine Lösung wird später präsentiert: ab 2026 soll es einen Käsewagen mit Brot geben - eine wahrlich ausgezeichnete Idee.

Derweil glänzen Strohe und Scholl durch Abwesenheit im Gastraum. In Unkenntnis ihres Terminkalenders maße ich mir kein Urteil dazu an. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass manche vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich Dreisterneköche wie Sven Elverfeld oder Christoph Rüffer viel Zeit für ihre Gäste nehmen, über die hiesige Prioritätensetzung zwischen bodenständig-bescheidener Gastfreundschaft und Celebrity-Selbstinszenierung nachsinnen.

Dessen ungeachtet ist es komplett unverständlich, dass das Tulus Lotrek nur einen Stern hat. Strohes Speisen sind ganz offensichtlich besser als das meiste, das man in der Berliner Fine-Dining-Szene bekommt, und ich kenne zig Zwei- (und auch einige wenige Drei-) Sternerestaurants, die eine solche Qualität nicht so konstant auf die Teller bekommen.

Ich würde mal wetten, dass der Guide Michelin 2026 dann auch ein Einsehen hat.

Ambiente 7
Service 7,5
Getränke 8,5
Essen 8,2

Gesamteindruck 7,9

Was die anderen sagen

How-to-Gourmet ist sehr angetan.

Die Tischnotizen ebenfalls.

Die Gourveggis vergeben außerordentlich hohe Werte.

Julien Walther sieht das Tulus Lotrek relativ konstant auf Zweisterneniveau.

TULUS, eine hörenswerte Dokumentation über den Weg Strohes und Scholls, ist als Podcast abrufbar, z. B. auf Spotify.

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Coda: Abschweifen