Frühjahrsnotiz
Im Frühsommer 2025 verschlägt es mich in einige In-Restaurants der Hauptstadt, die ich an dieser Stelle gesammelt beschreiben möchte.
Loumi
Karl-Louis Kömmler und seine Partnerin Mical Rosenblat sind eigentlich in der IT- bzw. Kunstszene heimisch und entwickelten ihre Küche komplett autodidaktisch ohne Ausbildung. Nach Jahren des Einladens von Freunden und neuen, kulinarisch interessierten Bekannten in ihr Food-Labor (sprich: ihre WG-Küche) ging aus dem Supperclub 2023 das eigene Restaurant in der Kreuzberger Ritterstraße hervor. Seit einigen Jahren haben sie ihre Rollen abgegrenzt und geschärft: Kömmler konzentriert sich komplett aufs Kochen, Rosenblat gibt die sehr charmante Gastgeberin und Sommelière.
Hier bin ich zwei Mal innerhalb weniger Wochen - weil es mich, Spoiler-Alarm, total umhaut. Beim ersten Mal beeindrucken ein Gazpacho (8,5), die dazubestellten Austern mit verschiedenen Aromen (9) sowie ein Fava-Bohnen-Happen (8), bevor Thunfisch (8), Abalone-Erbsen (8,5) und ein in seiner - vom Kaviar abgesehen - Einfachheit frisch-leckerer Salat (7) das Gourmetherz höher schlagen lassen. Dann beeindruckt Kömmler mit hochwertigsten (und eher seltenen) Produkten wie Bonito (7), Kinmedai (8,5) oder Kalbsbries (9). Der Brotgang im Loumi kommt als Brioche zur Wachtel (8,5), und den krönenden Abschluss des Hauptteils macht ein Wagyu-Filet (9). Zum Abschluss gibt es Erdbeeren (8), Braunebuttereis mit Schokolade (8,5) und ein Biskuit mit Rhabarber (8,5).
Beim zweiten Besuch ist die Karte schon leicht verändert: Nach Blauem Hummer mit Erdbeere (7,5) und einem Thunfischbauch (7,5) beeindruckt der Eierstich mit Schwertmuschel und Schinken (9) und der erwähnte Salat mit Kaviar (8). Abalone kommt anders zubereitet (8,5), gefolgt von Black Cod (9) und der schon bekannten Wachtel mit Brioche (8,5). Nach Walderdbeerencreme (8) und Braunebuttereis mit Schoko und Kaviar (9) steht wieder die Rhabarbercreme mit Biskuit vor mir, die diesmal eine klare Sensation ist. Vielleicht schmeckt sie genauso wie vor drei Wochen, was die Unterschiedlichkeit der Bewertung ein und derselben Person je nach Tagesform beweisen würde, aber diese Gedanken sind jetzt irgendwie auch egal - dieses Dessert ist ein einziger Traum, der alle Sinne in Ekstase versetzt und süßeste Kindheitserinnerungen weckt (10).
Zählt man die Werte zusammen, reibt man sich immer wieder die Augen. Wir reden hier wohlgemerkt nicht von einem traditionellen, etablierten Spitzenrestaurant eines Kochs, der bei Anne-Sophie Pic gelernt hat, sondern von einer “Liebhaber-Bude” vor der Verleihung des ersten Sterns. Das ist schlicht sensationell, Autodidaktenküche auf unbegreiflich hohem Niveau und DIE Entdeckung des Jahres.
Ambiente 8
Service 9
Getränke 8,5
Essen 8,4
Gesamteindruck 8,5
Shiori
Von einigen als bester Japaner Berlins auf dem Weg zum Stern tituliert, zieht das Shiori einen angesichts der entspannten Atmosphäre im kleinen Restaurant und der sich ausbreitenden erwartungsvollen Anspannung am Tresen in seinen Bann. Es folgt ein Reigen ostasiatischer Happen, vom schweigsamen Chefkoch direkt zubereitet und vom sehr zugewandten Kollegen jeweils schön beschrieben: Kabeljau (6,5), Fischlebertofu (7,5), Muscheldashi (6), Thunfisch-Sushi (8), Königslachs (6,5), Sashimi (8,5), Wagyu (7), ein “Mochiburger" (5,5), Chamushi Abalone (6), Tempura (7), Okra (6,5), eine Reismischung (6,5) und zum Abschluss Obst (6,5) sowie Matchaeis (6,5). Dazu eine interessante Getränkebegleitung, vom Sparkling Sake zu alkoholfreien, mir bis dato unbekannten Gebräuen. Ein authentischer, im positiven Sinne bemühter Japaner, bei dem man einen schönen Abend verbringen kann.
Ambiente 8
Service 7,5
Getränke 7,5
Essen 6,8
Gesamteindruck 7,3
Le Bon Mori
Hoch im Berliner Norden kocht Moritz Borowski ambitioniert; er hat sehr interessante Stationen in seinem Lebenslauf und fokussiert sich auf klassisch französische Küche. Bei meinem ersten Besuch kurz nach Eröffnung lief ziemlich viel schief. Zeitweise sah es sogar danach aus (bzw. roch so), als brenne die Küche. Dazu ein komplett überforderter Service, was ich den vielleicht Fünfzehnjährigen aber nicht übel nehmen konnte. Das, was damals auf den Tisch kam, war indes schon ziemlich gut. Also ein neuer Versuch.
Zum Einstieg wird Brot mit Zitronenbutter und feinem Salz gebracht (6,5). Dann wird es interessant: Eine Pulpo-Terrine gehört zu den originellsten Gerichten seit langem, ist aber zu kalt (7). Die Muschelsuppe ist souverän zubereitet (7,5). Erneut Pulpo, diesmal mit Artischocken, und wieder sehr originell, rund im Geschmack und lauwarm (6,5). Bei der Käseauswahl macht das hausgemachte Fruchtbrot Eindruck (7) und im klassischen Sinne macht eine Creme Brulée den Abschluss (6,5).
Diesmal lief alles reibungslos und die französische Küche ist wirklich solide; an den Sternen kratzt Borowski damit indes noch nicht ganz.
Ambiente 6,5
Service 6
Getränke 6,5
Essen 6,8
Gesamteindruck 6,5
136
Ebenfalls als Anwärter auf einen Michelinstern gilt das italienisch-peruanische Fusionrestaurant 136 in der Linienstraße. Es kommt im Ambiente ungezwungen daher, die Angestellten sind gut gelaunt und stolz auf das, was kommen wird. Die Stimmung steckt an und der Aperitif, ein Haus-Pisco-Sour, ist atemberaubend gut und würde eine 10 bekommen, wenn ich Noten für Getränke vergeben würde. Neugierig setze ich auch weiterhin auf peruanisch angehauchte Drinks - und werde weiter nicht enttäuscht. Dabei kann sich auch die Weinkarte sehen lassen.
Die Starter sind geprägt von italienischen Klassikern wie Tomate/Mozzarella und Fisch/Gemüse peruanischer Provenienz (8). Der Nachtragstarter (Kartoffelchips) kommt derweil eher geschmacksneutral rüber (6). Weiter geht’s im Menü mit Adlerfisch/Zitrone (7,5), Erbsen mit Jakobsmuscheln (7), Spargel (5,5), Steinbutt mit Kaviar (7), Short Ribs (7), Kalbsfilet (7), einem Maracuja-Rhabarber-Nachtisch (6,5) und einem Erdbeer-Schokoladen-Dessert (7).
Die Verbindung Italienisch-Peruanisch ist genauso ansprechend, wie sie klingt. Zumindest, wenn die hiesigen Macher am Start sind. Einiges ist hier definitiv sternwürdig und ansonsten reißt die Motivation und Stimmung des Teams mit. Also nichts wie hin!
Ambiente 7,5
Service 8,5
Getränke 8,5
Essen 6,9
Gesamteindruck 7,7
Otsuka
Den Abschluss dieser Sommerreihe macht ein Sushi-Omakase-Restaurant in einer beengten Passage hinter einem Biomarkt am Nordbahnhof (ein Setting, das in Japan häufig vergleichbar anzutreffen ist). Auch Daisuke Ishiges Lokal bekommt derzeit häufig den inoffiziellen Titel eines “besten Restaurant Berlins” verliehen. Hierbei geht es natürlich um Sushi.
Die Gänge werden wie gewohnt in recht kurzen Intervallen frisch über den Tresen gereicht. Es geht praktisch ausschließlich um den Genuss des jeweiligen kleinen Kunstwerks, das einen im Hier und Jetzt erdet und das Drumherum ausblendet. So ist die Reihe: Tuna (7), Steinbutt (6,5), Ebi (7,5), Fatty Tuna (7,5), Seabass (6), nochmal Tuna (6,5), Saba (6), nochmal Fatty Tuna (6), Maki Kürbis (6,5), Maki Thunfisch-Tatar (6,5), Tamago (6) und Honigmelone (6). Nicht mehr (wäre bei dem günstigen Preis auch noch schöner) und nicht weniger.
Eventuell ist das wirklich das beste Sushi in Berlin. Einwandfrei für die (luxuriöse) Mittagspause oder ein lohnenswertes abendliches Mahl. Derweil suche ich weiter nach der Sushi-Gesamt-Omakase-Erfahrung auf hohem Sterneniveau. Man kann sicher nicht erwarten, dass diese Suche gerade in Berlin zum Erfolg führt. Die nächste Japanreise wird kommen. Und kulinarische Erlebnisse wie im Otsuka machen Lust auf eine solche Reise, was gar nicht mal wenig ist.
Ambiente 6
Service 6,5
Getränke ohne Wertung
Essen 6,5
Gesamteindruck 6,4