Haerlin: An der schönen grauen Alster

Haerlin, Hamburg ***
Ambiente 8,5
Service 8
Getränke 8,5
Essen 8
Gesamteindruck 8,2

Meine Bewertung: Das Restaurant Haerlin in Hamburg strahlt, zumal im Advent, eine unwiderstehliche Schönheit aus, und die kreative Gastfreundschaft des Teams ist etwas Besonderes im deutschen Dreisternemilieu. Das Essen selbst hat noch Potenzial nach oben, insbesondere im ambitionierten Vergleich der Liga, in die Rüffer jüngst aufgestiegen ist.

Die Geschichte hinter dem Restaurant

Op geiht dat na Hamborg!
Eine weitere Trilogie: hanseatische Spitzenküche, nicht annähernd vollumfänglich, klar, aber doch mit Zielen, denen ein Platz auf der Agenda 2025/26 gebührt. Und das noch zum ersten Advent, als die zweitgrößte Stadt Deutschlands mit ihrer ganz eigenen, grauen, urbanen Anmut ihre Bürgerinnen und Bürger sowie die (noch erstaunlich zahlreichen) TouristInnen dazu einlädt, gemeinsam in die Weihnachtszeit zu starten.

Ansicht über die Binnenalster auf das Restaurant Haerlin. Im Restaurantblog Tanoshimi - Fine Dine & Wein gibt es eine Restaurantkritik zu diesem Sternerestaurant von Christoph Rüffer.

Adventszeit in Hamburg: Zeit für das Haerlin und andere Gourmettempel

Das erste Restaurant hatte in diesem Jahr (2025) einiges zu feiern: Es ist das Jahr der Verleihung des dritten Michelin-Sterns! Hierauf hat man viele Jahre als oft genannter Aspirant sehnsüchtig gewartet. Man, das sind Christoph Rüffer und sein Team - im Restaurant Haerlin des Hamburger Spitzenhotels Vier Jahreszeiten.

Rüffer kommt aus Essen und machte seine Heimatstadt zum Programm, zunächst in der Heimat und in München. 1996 zog es ihn nach Baiersbronn - erst zu Harald Wohlfahrt in die Schwarzwaldstube, dann zu Claus-Peter Lumpp ins Bareiss -, wo er die klassische französische Küche schätzen (und zubereiten) lernte. 1998 ging es wieder nach Essen - als Souschef im Résidence - und bald darauf nach Sylt, wo er als Küchenchef dem Fährhaus Munkmarsch zu einem Michelinstern verhalf.

2002 heuerte er dann im nach dem Hotelgründer benannten, mit einem Stern dekorierten Haerlin im Vier Jahreszeiten Hamburg an. Hier fand er seine gastronomische Heimat und machte sich daran, das Restaurant mit klassisch französischer Haute Cuisine weiterzuentwickeln. Der zweite Stern ließ relativ lang auf sich warten - 2012 war es soweit. Und nach einer abermals (zumindest im Vergleich zu Ambitionen und Können) langen Wartezeit ging Stern Nummer Drei im Jahr 2025 endlich auf. Rüffer kann also mit Fug und Recht als ein Koch bezeichnet werden, der über viele Jahre mit sehr viel harter, handwerklicher Arbeit sehr viel Erfahrung angesammelt hat und dem nichts geschenkt wurde (was allerdings in diesem Business ohnehin selten der Fall sein dürfte).

Die Erfahrung

Im Rahmen eines kontrastreichen Spaziergangs vom Hansaplatz zur Binnenalster mache ich den ersten Fehler des Abends: ein "Rob Roy" in der Atlantic Bar entpuppt sich als Appetitanreger, der es umdrehungstechnisch locker mit den Long Island Ice Teas aus studentischen Dortmunder Clubnächten aufnehmen kann. Meine sensorischen Fähigkeiten stehen auf dem Spiel - gar nicht gut mit Blick auf das anstehende kulinarische Erlebnis. Dafür liefert die Stadt mit Blick auf ihre klischeehaften Witterungsverhältnisse - der Nieselregen bei 6 Grad treibt den Spontanrausch aus den Körperzellen.

Die herzliche Begrüßung wird gekrönt von einer Einladung (also: echte Einladung; man zahlt nichts dafür) zum Champagner: Billecart-Salmon Rosé 2012. In der Lobby findet eine Party statt, was angesichts der lauten Musik zu einer gewöhnungsbedürftigen Soundkulisse im Restaurantinneren in Dolbyqualität beiträgt, aber diese Party ist eher von kurzer Natur. Das Restaurant ist wunderschön winterlich dekoriert, die Kellnerinnen tragen entzückende Kleider, durch die Fenster blickt man aufs Wasser. Erneut interessant: Die ausländischen Gäste sind durchweg freundlicher und leidenschaftlicher als die deutschen, welche zu glauben scheinen, dass ein solches Ambiente eine ausdruckslose Ernsthaftigkeit bedingt.

Das Menü startet mit Parmesan-Croustade mit Rindertatar, Miso-Aubergine und Trevisano. Eine schöne Anordnung, die im Mund zu Umami und Süße wird, dabei aber in eine angenehme Frische eingebettet ist. Da ist eher das Tatar als der Parmesan schmeckbar (7,5). Ein Kürbiskernchip mit Akami vom Thunfisch und Soja-Aallack sowie Kaviar lebt vom zarten Schmelz des Thunfisches, wobei auch die Knusprigkeit des Chips solide nachhallt. Besonders wunderbar damit ist der Kaviar (8,5). Die Gillardeau-Auster mit Zucchini und grünem Meerrettichschaum stellt eine fabelhafte Kombination aus Schärfe, Meeresgeschmack und pointierten Einzelelementen dar. Nicht zu lang, aber dank Meer und Meerrettich sehr gelungen (8,5). Als nächstes steht ein Gaisburger Marsch mit Petersilienspätzle, Kartoffelnocken und Kalbszungenröllchen auf dem Programm. Da lacht der Schwabe. Gaisburger Marsch, benannt nach dem Stuttgarter Stadtteil Gaisburg, ist ein traditioneller schwäbischer Eintopf und nicht gerade klassische Haute Cuisine. Um so witziger, sich daran in einem Dreisternerestaurant zu versuchen (obwohl Harald Wohlfahrt das Gericht auch schon mal als sein Lieblingsessen bezeichnet hat). Rüffer erzählt mir später, dass ein Mitglied seiner Brigade auf die Idee kam, das ins Menü einzubauen, und er ihm den Raum gegeben habe. Die Kalbszunge ist fein und zart, die Brühe so würzig, wie sie sein muss. Das ist sicher schmackhaft als Mittagessen in einer schwäbischen Wirtschaft, weist aber keinerlei Komplexität auf, welche es m. E. benötigt, um sich nahtlos in das hiesige Menü einzufügen (6,5).

Es folgt eine auffallend lange Pause. Dann kommt - als weitere originelle Idee - ein Butterwagen. Wo andere auf Brotwägen setzen, wollte man hier mal anders rangehen. Die Kellnerin bereitet Zitronenbutter und Schnittlauchbutter zu; das Schauspiel ist sehr unterhaltsam und überzeugend. Leider fehlt zunächst das zugehörige Brot; hier müsste die Abstimmung optimiert werden. Das schön heiße Sauerteigbrot und das japanische Milchbrot sind mit der frisch präparierten Butter und einer fein abgestimmten Sauerkrautcreme fantastisch - alles buchstäblich in Butter (8,5).

Als nächstes kommt ein Krustentier-Royal mit Carabinero, geräuchertem Sepiasud und Liebstöckel. Mit dem am Boden liegenden Eierstich ist das sehr japanisch konturiert, auch Melone ergänzt interessant. Hier ist Japan mit auf dem Teller, aber alles ist nicht allzu komplex, wenn auch recht lang am Gaumen (7,5). Die folgende Gänseleber mit gelber Beete, Pekannuss, Holunderblüte und Mandarinendestillat liefert in ihrer niedrigen Temperierung erstaunliche Frische. Die Kälte wird aufgewogen durch einen intensiven Geschmack von hochwertiger Leber. Ergänzt wird das durch eine Creme Brulée mit Holunderblüte auf einem zweiten Teller, was exzellent schmeckt (umamireich mit leichter Süße). Alles ist unterschiedlich temperiert und wirkt interessant zusammen, man hätte es aber auch auf einen Teller packen können (8,5). Das “Seezungenfilet Meunière" kommt im Artischocken-Zitrus-Sud mit Olivenöl und Petersilien-Parmesan-Tortelli. Hier wird noch ein klassisches Fischmesser gereicht! Die Salzigkeit prägt das gesamte Gericht, es ist aber von beschränkter Langlebigkeit. Während ich die Tortelli als nichtig empfinde, prägt sich die Artischocke angesichts ihres intensiven Geschmacks bei mir ein (8). Der Kaisergranat mit gegrillter Paprikasabayon, Fenchel, Crocus-Polenta und Sauce Pastis lebt von der hochintensiven Krustentiersauce. Die Polenta und das Sauerkraut sind sehr solide, aber nichts ist überaus spektakulär (8).

Als nächstes kommen zwei eher schwere Fleischgänge. Zunächst Kalbsbries mit Parmesantrüffelschaum, Misokarottencreme, Haselnüssen und darüber gehobeltem weißen Trüffel. Das Kalbsbries ist zart und ausgewogen, bewegt mich für sich genommen allerdings nicht - vielleicht auch, weil es erneut nicht an meine Referenz (im Berliner Loumi) herankommt. Der weiße Trüffel ist allerdings von betörender Intensität, Nussigkeit und Feinheit. Am besten schmecken mir die Gabeln, auf denen der Trüffel vom Umami der alle Zutaten vermengenden Sauce eingerahmt wird (8).

Die Gewürzentenbrust von „Odefey und Töchter“ mit grüner Wacholder-Sabayon, knusprigem Buchweizen und Blutwurst-Muffin ist zweifellos ein Highlight. Eine zarte, perfekt schneidbare Ente lädt zum Schwelgen ein. Auch die Kombi mit dem Rest stimmt, wenngleich auch hier die vielfältigen flankierenden Gewürze und Produkte ein bisschen sehr im Hintergrund bleiben. Das ist ein wirklich gut komponierter Gang mit wohlschmeckenden Komponenten. Mit einer Ente von allerbester Qualität, perfekt temperiert und von ansprechender Textur (8,5).

Hauptspeise im Restaurant Haerlin in Hamburg. Im Restaurantblog Tanoshimi - Fine Dine & Wein gibt es eine Restaurantkritik zu diesem Sternerestaurant von Christoph Rüffer.

Die Gewürzentenbrust von “Odefey und Töchter” ist aktuell eines der Highlights im Menü des Hamburger Restaurants Haerlin

Die Desserts stehen an. Zunächst „Canadian Whisky Sour“ mit Meringue, Blutorange und Yuzu. Hier schmecke ich primär eine unnötig parfümierte, ultrasüße Puddingnote, die mit der bitteren Blutorange mehr schlecht als recht (immer im Vergleich auf diesem Niveau) zusammengeht. Das ist unrund und hat auch mit Whisky Sour für mich wenig zu tun. Ein irritierender Gang (6,5). Das Hauptdessert besteht indes primär aus Schokolade - in erster Linie als Creme mit Kumquat, dazu ein Physalissorbet und Nuss. In einer weiteren Schüssel mit einer Creme Quitte-Chantilly mit Krokantchip. Diesmal harmonieren Süße, Bitterkeit und Frucht perfekt, der Nebenteller ist die pure Schokolade und Nuss, in bezirzender Weise dargebracht. Alles durchaus sehr süß, sehr intensiv. Wie ein Sehnsuchtsmoment aus der Kindheit in einem (vermeintlichen) Schlaraffenland (9).

Zum Ende rollt ein Petit-Four-Wagen an. Eine weitere nette Idee, wie schon der Butterwagen. Für diejenigen mit noch nicht komplett gefülltem Magen zudem die Chance auf komplette Sättigung. In dieser Gruppe verorte ich mich definitiv nicht. Trotzdem lasse ich mir einen Macaron mit Tonka und Blaubeere geben, der dunkel, intensiv, würzig schmeckt. Dazu eine Praline mit Milchgarnache, Shortbread und Karamell - ein milchiger Traum - und eine Kiwitartelette mit Schokochip - frisch, fruchtig und überraschend leicht. Das ist nur eine von abertausend Kombinationen dieses großzügigen mobilen Kaufladens der süßen Versuchungen. Einer der besten Menüabschlüsse des Jahres (9).

Petit-Fours im Restaurant Haerlin in Hamburg. Im Restaurantblog Tanoshimi - Fine Dine & Wein gibt es eine Restaurantkritik zu diesem Sternerestaurant von Christoph Rüffer.

Mit diesem Petit-Four-Wagen endet das Menü im Hamburger Sternerestaurant Haerlin

Bei den Getränken ist viel Positives zu konstatieren: die Einladung zum Champagner, der dargereichte Magnus-Sprudel (als Alternative zu San Pellegrino), ein Silvaner von Werther-Windisch (2020) mit schöner Bitterkeit und Komplexität - ein wahrlich exzellenter Wein, der am Gaumen bleibt. Auch der 2019 Castellberg Pinot Noir von Martin Wassmer weiß - perfekt temperiert serviert - zu überzeugen. Der Sommelier bringt viel Zeit, Kompetenz und die Bereitschaft mit, Geschichten zu den Weinen zu erzählen. Mit seiner Empathie und Zugewandtheit macht das Freude.

Der Service ist angenehm, professionell, aber nicht wirklich locker. Einige wirken neu und recht unerfahren; der Sommelier und Gastgeber Rüffer zeigen derweil ihre Erfahrung.
Letzterer kommt gegen Ende vorbei und nimmt sich Zeit. Wir plaudern über das Essen, die Leidenschaft dafür, die Bezugsquellen für seinen großartigen Trüffel und ob diesbezüglich Hamburg oder München bessere Möglichkeiten bieten.

Wie lässt sich hier ein Fazit ziehen, ohne die Anmaßung anzumelden, die Entscheidung der Michelin-Tester in Zweifel zu ziehen? Vielleicht so: Gerade weil sich das Küchenteam jahrzehntelang auf den Moment des dritten Sterns vorbereitet und daran gearbeitet hat, müsste man annehmen, dass es eine ganz klare eigene Handschrift perfektioniert und größtmögliche Konstanz übers Menü geschaffen hätte. Beides habe ich nicht hundertprozentig gesehen. Neben Gerichten auf solidem Dreisterneniveau stehen auch zwei, drei Gänge, die mich auf dem Niveau irritieren, und viele, die meiner Meinung nach gut zum Niveau passen, das bis Juni 2025 dokumentiert war.

Dieses persönliche Urteil treffe ich aber ausdrücklich nur mit dem Begleittext, dass Rüffer einer der sympathischsten und teamorientiertesten Spitzenköche ist, die ich (oberflächlich) kennenlernen durfte. Dass hier großartige Ideen umgesetzt werden. Dass eine andernorts unbekannte Flexibilität des Sommeliers beim Wein tolle Überraschungen ermöglicht. Dass alles hier - nicht zuletzt angesichts der Einladung zum Champagner, der Inklusion von Wasser, Kaffee und nachgeschenktem Glas Wein in den Preis und des wirklich fairen Angebots mit Blick auf Zusatzgänge - großzügig und gastfreundschaftlich rüberkommt. Und dass der Blick vom festlich dekorierten Speisesaal des Haerlin in die Hamburger Nacht hinaus und weiter zu dem auf der Binnenalster majestätisch thronenden, hell erstrahlenden Weihnachtsbaum schlichtweg wunderschön ist.

Das sind Anmut, Wärme und Herzlichkeit, die einem noch lange in Erinnerung bleiben - mehr vielleicht sogar als das Festmahl selbst.

Ambiente 8,5
Service 8
Getränke 8,5
Essen 8

Gesamteindruck 8,2

Was die anderen sagen

MacClaus war kurz zuvor im Haerlin und vergibt Werte zwischen 9 und 10.

Die Sternefresser befinden, “nicht allzu oft […] erheblich besser als […] im ›Haerlin‹ […] in Deutschland […] zu essen”.

Bei Matthias Ruhl liegt es auch noch nicht so lange zurück - er vergibt 18/20 Punkte.

Bernd Grill vergibt sogar 19/20 Punkte.

Julien Walther war schon zig Male im Haerlin, mit unterschiedlichen Bewertungen. In seinem neuesten Bericht vergibt er 9/10 Punkte.

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The Sakai: Was nur der Michelinmann weiß (Gastrezension)