Schanz: Der Lokalmatador von der Mosel
Die Geschichte hinter dem Restaurant
Als Start einer ambitionierten Dreisterne-Trilogie steht heute ein Gasthof im beschaulichen Piesport an der Mosel an, wo viele tolle Weingüter mit z. T. herausragenden Rieslingen (soweit bekannt) und erstaunlichen, eigenständigen Spätburgundern (soweit - mir - deutlich weniger bekannt) liegen, lesen, gären und abfüllen. Und eben auch das schanz.restaurant.hotel., mitten an der Durchgangsstraße und ein echter moselaner Familienbetrieb, in dem die Eltern des Küchenchefs Thomas Schanz das Hotel managen und sich nebenbei um Wein und anderes kümmern.
Sohn Thomas war nach der Ausbildung ab 1999 im Hotel Traube Tonbach bei Harald Wohlfahrt in Baiersbronn, dann im Alten Kelterhaus in Wintrich und im Gästehaus Klaus Erfort in Saarbrücken. Von 2005 bis 2011 war er Souschef im Waldhotel Sonnora bei Helmut Thieltges. Seit 2011 ist er Inhaber und Chefkoch des Restaurants, wo er 2012 mit einem, 2015 mit zwei und 2022 mit drei Michelinsternen ausgezeichnet wurde. Hinzu kamen Auszeichnungen als Deutschlands Koch des Jahres 2021 (Gault Millau) und jüngst als Koch des Jahres 2025 im Rahmen des neuesten "Lieblinge des Jahres"-Award der Frankfurter Allgemeinen.
schanz. restaurant. hotel.
Die Erfahrung
Das Restaurant liegt in einem Anbau hinter dem Hotel, wo die Gastgeberin eine herzliche und unkonventionelle Begrüßung sowie Wegbegleitung zum Tisch offeriert.
Die Einrichtung des Lokals ist semi-modern und dabei übersichtlich sowie behaglich. Die anderen Tische beherbergen ein Publikum gesetzteren Alters, wobei ganz offensichtlich vor meinem Eintreffen ein Gamemaster demjenigen Paar einen Preis versprochen hat, das die schlechteste Laune entwickelt und dann auch explizit zur Schau stellt. Eine wahrhaft anspruchsvolle Competition mit einem (primär) diesbezüglich potenten Favoritenkreis. Lediglich ein junges foodie couple from good ol' Britain schert stimmungstechnisch aus dieser Wartezimmeratmosphäre aus - und meine Wenigkeit, der ich mich schon lange hierauf freue und zudem durch Weinverköstigungen seit 10:00 Uhr morgens Appetit aufgebaut habe. Weiterführende Reflexionen zum Thema "Laune der Gäste vs. dargebotenes Erlebnis unter Berücksichtigung der vom miesepetrigen Gast zu investierenden Mittel in Deutschland" finden sich u. a. in diversen Berichten/Kommentaren auf troisetoiles.de.
Das hiesige Erlebnis startet mit den Amuse-Bouches, welche in klarer Unterscheidbarkeit der Einzelingredienzien so intensiv schmecken und lange im Mund bleiben, wie ich das ganz selten erlebt habe: Wagyu-Crostini unter der Glashaube mit San-Marzano-Tomate und Jalapenos (10), Thunfischbauch-Cannelloni mit Blumenkohlcreme und “Kaviari Kristal Gold”-Kaviar (9), Tartelette mit geschmolzenem Wildschweinkopf, Erbsen, Holunderessigschaum und Saiblingskaviar (9).
Mit die besten Amuse-Bouches des Jahres
Der dargereichte Brotkorb wartet u. a. mit Olivencrackern, Haselnussbrot und Laugengebäck sowie Kalbsmark und Traubenkernöl zum Dippen auf (7,5). Es folgt ein Klassiker des Hauses: Trüffelei mit weißen Trüffeln. Mehr Umami und Intensität geht nicht, es ist allerdings reichlich schwer zu essen (was sich nicht auf die Bewertung auswirkt) (9). Ein Zwischengang mit einem “Dome” aus Pistazien, Tomaten, Kapern, Walnuss, rotem Pfeffer und Ziegen-Veilcheneis baut sich erst langsam in all seiner geschmacklichen Größe und expliziten Bitterkeit auf. Das ist schwer zu bewerten, da man es wahlweise als genial oder konzeptlos bezeichnen könnte (8).
Ein "Gänseleberhochhaus" mit Pampelmuse, Wildkräuterglace, Pastis und altem Gouda kommt optimal (in diesem Fall kühl) temperiert daher. Die Leber ist von exquisiter Qualität, alles wird durch Grapefruit und feine Gemüsetupfer ausbalanciert; dabei ist es nicht übermäßig komplex und liefert kein überwältigendes Mundgefühl. Den Gouda, obschon aus meiner Sicht in seiner Einbindung eine interessante Idee, schmeckt man bedauerlicherweise nicht raus (8,5). Es folgt Petermännchen mit Kalbszunge, Kaviar, einem Aufguss von Orangenschale und Sepiatinte. Die mild-aromatische Zitrusessenz rundet mit dem Kaviar zusammen das exzellente Petermännchen schön süß-sauer-salzig ab, dabei ist mir das Gericht eine Spur zu dezent für eine Weltklassewertung (8,5). Als nächsten Gang erhalten wir gratinierten Kohlenfisch mit Radieschen, Schwarztee und Gewürzessenzen. Hier kann man mit einer Pipette Rosmarinwasser zugeben und die für sich selbst perfekte Mischung finden. Das Geschmacksbild ist großartig, der Fisch von absoluter Weltklasse-Qualität. Mit etwas mehr Zutaten für etwas mehr Nuancen im Mund (und am besten auch noch insgesamt etwas mehr vom - sehr überschaubaren - Gericht) wäre das eine 10, so ist es eine 9.
Der nächste Gang ist Carabinero mit Ferkelfüßen, Tonka und Maracuja. Hier passt alles perfekt zusammen und ergänzt sich gegenseitig. Wer auf solche Kompositionen kommt, ist ein wahrlich grandioser Meister (9). Die Wachtelbrust im Champignonmantel mit Gemüse und Pommes Frites stellt das (fast) noch mal in den Schatten. Wie ein erfüllender, grandioser Spaziergang durch die Natur, den Wald und über die Felder kommt das daher. Eine Wucht (9).
Nach der Käseauswahl (8,5) folgt Delice von der Kokosnuss mit Tamarillo und Petersilie. Das ist intensiv parfümiert, der Tamarillo erfrischend und exotisch, der Petersiliensud eine originelle Einrahmung. Die Kokoscreme ist indes eine Art unspektakuläre Sahne mit nur schwachem Kokosgeschmack. Trotzdem ein exzellentes Dessert (8,5). Den Abschluss des eigentlichen Menüs macht ein Birne-Fichte-Sorbet mit Sherry-Süppchen. Sehr gut, wäre aber als Prédessert passender gewesen (8). Die Petits Fours umfassen u. a. Cornetto, Eierlikör und ein "Schanz on the beach" (8) und so endet das Mahl.
Die Weinkarte ist solide, hauptsächlich mit den Komponenten "Region Mosel" und Frankreich, normal bis stolz bepreist. Die Sommelière hat Ahnung, v. a. von der Region (wo sie auch groß geworden ist und vinophil sozialisiert wurde) und empfiehlt interessante Geheimtipps, allerdings erst auf Nachfrage - in der Weinbegleitung finden sich eher Klassiker.
Meine Wahl fällt u. a. auf einen selbstgemachten, alkoholfreien Tee mit Kirsche und Tabasco (den man leider nur als ungenießbar bezeichnen kann und der zurückgeht), eine Fanta (für die ich mich schäme, aber manchmal überkommt es einen irgendwie und auf eine krude Weise war das ein perfektes Pairing zum Nachtisch) und einen Walderdbeerenbrand von Michael Hilgert aus der Region, der an Intensität dann wirklich nicht mehr zu toppen ist.
Der Service ist bemüht und im Großen und Ganzen auf Zweisterneniveau. Eine besondere Zugewandtheit kommt allerdings trotz Professionalität, Freundlichkeit und Eloquenz nicht rüber. Die Tische mit Weinbegleitung werden bevorzugt, was mich zwar wenig stört. Nervig ist jedoch, dass verschiedene KellnerInnen nach jedem Gang fragen, wie es einem gefallen hat. Da eine ausdifferenzierte Antwort gar nicht erwartet wird (was u. a. am Ansetzen zum Davonlaufen schon während der Frage erkennbar ist), ist diese Praxis sinnfrei, übergriffig, macht verbale Arbeit und erinnert eher an das herzhafte Sonntagsmahl in einem rustikalen Gästehaus denn an ein Drei-Sterne-Restaurant.
Der Getränkeservice wird ausschließlich von der Sommelière durchgeführt, die angesichts vieler Weinbegleitungen an anderen Tischen gebunden ist. So liegt die Weinkarte hier rum und Bestellungen sind de facto kaum möglich (was mich heute, nach stundenlangen Tastings an Mosel und Saar, nicht weiter stört). Die Leidenschaft einiger Damen, die sich nicht zuletzt in echten Insidertipps zur Region äußert, Verständnis für Kritik, ein offen-sympathischer Auftritt des Chefs zur Verabschiedung und das originelle Setting mit eleganter Hausdame am Empfang heben die Wertung derweil.
Nach einem herausragenden Essen…
So trete ich auf die nächtliche, verlassene Piesporter (Haupt-)Straße und schlendere zum Moselufer runter. Ich bin heute mental fahrig. Und das liegt nicht an einer optimierungswürdigen Qualität des Essens, sondern genau am Gegenteil: ich zweifle an meinem Bewertungssystem. Der errechnete Gesamtwert (8,2) ist dem Erlebnis nicht angemessen. Können hohe Ambiente- und Servicewerte anderswo wirklich ein wie hier extrem gutes Essen wettmachen? Ich entscheide mich dafür, diesmal dem Lebenstipp des Darüber-Schlafens eine zentrale Bedeutung einzuräumen (wobei sich der Wert so auch nicht ändern wird).
Die Mosel liegt so unscheinbar zu Füßen, dass man bei Dunkelheit fast den einen verhängnisvollen Schritt übers Ufer tut. Lediglich ein Schwan warnt mich mit eindringlichem Blick vor dieser Grenzüberschreitung. Es scheint das einzige Lebewesen zu sein, das noch wach ist. Die Weinberge liegen erhaben. Geräuschlose Stille. Der Fluss scheint nicht zu fließen; nicht mal Schlieren sind auszumachen, die auf die weitere Reise zum Deutschen Eck und später in die Nordsee deuten. Die Mosel liegt da wie ein See. Die gesamte Landschaft wie ein nächtliches Stillleben.
Am Morgen werden die Lebewesen erwachen; die WinzerInnen und Erntehelfenden, die noch nicht mit der Lese durch sind, werden in die Weinberge strömen. Autos und Traktoren werden ihre maschinellen Laute in die Moselluft schreien. Diejenigen mit strafferem Zeitmanagement werden die Kelter bedienen und die Gärkontrolle einleiten. Die Kinder werden die Schulwege zu Orten der Zuversicht, Neugier und Weltoffenheit machen. Kreuzfahrtschiffe und Reisebusse werden TouristInnen in Cochem und an der Porta Nigra ausspucken, die internationalen Flair in die Region bringen. Alles wird sich bewegen und doch vor Tradition strotzen.
Und mittendrin, im beschaulichen Winzerdorf Piesport, wird Thomas Schanz an alten und neuen Kompositionen feilen und sich gewahr sein dürfen, dass er wirklich ein Bub der Region ist. Und damit möge der metaphorische Exzess enden. Und die Reiseplanung beginnen.
Ambiente 8
Service 8
Getränke 8
Essen 8,6
Gesamteindruck 8,2
Was die anderen sagen
Julien Walther sieht Thomas Schanz als “offenkundige[n] Liebhaber der französischen Klassik, aber vermutlich auch […] Liebhaber Frankreichs, das spürt man mit jedem Bissen. Besonders beeindruckt hat mich der klare, unprätentiöse Stil der Küche, der unter den französisch fundierten Spitzenrestaurants in Deutschland ein Alleinstellungsmerkmal ist.” und vergibt 9/10 Punkte.
Für die Sternefresser gehört das Menü “ohne Zweifel zu den besten des Jahres”. Sie sehen “eine Präzision, die nie krampfig wirkt, eine Durchdachtheit, die nichts Streberhaftes hat, und ein Willen zur Genussbereitung, der nicht erschlägt, sondern beflügelt. Dazu noch die umfassende Herzlichkeit dieses Familienbetriebs, wo Vater und Mutter Schanz gut gelaunt den Hotelbereich leiten, während der Filius im kleinen Piesport Weltklasse kocht – das ergibt ein Gesamtbild, das etwas Berührendes hat”.
Bernd Grill konstatiert, dass “die überragenden Darbietungen […] für die kommenden Jahre Maßstäbe setzen und dem Lokal scharenweise interessierte Gäste bescheren”. “Weltklasseküche an der Mosel? Ja, so etwas gibt es tatsächlich!” Er vergibt 20/20 Punkte.