Tantris: Where it all began
Die Geschichte hinter dem Restaurant
Über kein deutsches Restaurant wurde so viel geschrieben: die Architektur, die Geschichte, Witzigmann, Winkler, Haas, Bosch - man braucht wenig Ergänzungen von anderen Restaurants, um deutsche Fine-Dining-Geschichte umfangreich und ansprechend zu erzählen. So werde ich an dieser Stelle keine Worte über die Historie verlieren - entweder man hat es selbst miterlebt (ich nicht) oder man taucht über die vielseitigen, plastischen Quellen der Literatur/Medien in diese Welt ein.
Seit 2020 ist Benjamin Chmura Küchenchef - als direkter Nachfolger von Hans Haas. Der gebürtige Kanadier und Dirigentensohn, dessen Mutter Deutsche ist, wuchs in Brüssel auf. Seine Lehrjahre führten ihn ans Institut Paul Bocuse in Lyon, zur Auberge de l'Ill von Marc Haeberlin (drei Sterne), ins Le Cinq in Paris (drei Sterne), ins The Greenhouse nach London, dann nach Australien, um in einem japanischen Zweisternerestaurant zu kochen. Nach einer weiteren Station ab 2017 bei Michel Troisgros in Roanne (drei Sterne), wo er 2019 zum jüngsten Chefkoch des Restaurants avancierte, kam er nach München. Der Feinschmecker zeichnete ihn 2024 als Koch des Jahres aus.
Die Legende von außen
Die Erfahrung
Immer noch Oktoberfest, diesmal andersrum: die Massen strömen gegen Mittag auf die Theresienwiese, ich schlendere bedächtig durch Schwabing Nord - eine Gegend, die eher von Plattenbauten geprägt ist, als dass sie an die Klientel erinnert, welche vor Jahrzehnten in den Genuss der ersten echten deutschen Très-Haute-Cuisine kam. Über das Interieur ist viel gesagt - man sollte sich einen eigenen Eindruck verschaffen. Im Vergleich zu den ersten Tagen wurde das Beleuchtungskonzept modernisiert, eine Treppe errichtet, ein bemerkenswerter gläserner Weinkeller in der Mitte des Restaurants erbaut und eine Aufteilung in drei Bereiche vorgenommen, welche lose abgegrenzt sind: das Zweisternerestaurant (das ich besuche), das Einsternerestaurant Tantris DNA, das Chmura mitführt, sowie die sehr schicke und glamouröse Bar Tantris. Den durch den Treppenbau frei gewordenen Platz im ersten Stock gilt es noch einer Verwendung zuzuführen - hier hat man sich noch nicht wirklich entschieden.
Dies gilt definitiv nicht für den Stil der Küche: Eine so eindeutige Ausrichtung nach Frankreich findet man - auch und gerade in Frankreich selbst - gar nicht so oft. Erkennbar an den Zutaten (Froschschenkel, anyone?), der Komposition der Gerichte, den Saucen, der Weinauswahl und vielem mehr. Beim Platznehmen stellt sich - zumindest bei mir - sofort das Gefühl ein, an einem historischen und sehr besonderen Ort zu sein. Das machen die Innengestaltung, der von Beginn an detailversessene, hochprofessionelle Service und die anderen Gäste: einmal mehr sehr international, wobei das - again - v. a. Nordamerika und Ostasien bedeutet. Sie lassen es praktisch an jedem Tisch krachen; die Weinbegleitung ist das Mindeste; Rochelt-Exzesse für ein Dutzend Tischgäste oder Flaschen Vega Sicilia lassen sich auch sichten.
In diesem Ambiente, großzügig an einem zentralen Tisch mit Überblick platziert und den von einer mir aus dem Alchemist bekannten Tischgastgeberin servierten feinen alkoholfreien Riesling von Loimer schlürfend, während ein großes Tablett mit Köstlichkeiten den Tisch erreicht, durchfährt mich der Gedanke, dass ein Besuch hier noch immer zu den ganz großen kulinarischen Erlebnissen gehören dürfte, die in Deutschland möglich sind. Ob die Gerichte das spiegeln?
Los geht's mit sechs Amuse-Bouches, die sich den feinen Geschmacksbildern verschiedener Gemüse widmen: Karamellisierte Zwiebel (mit Apfel und Schnittlauch, 8,5), Rote Beete (mit Ingwer und Sardine, 9), Grüne Tomate (mit Salsa Verde und Bonito, 9), Spinat (mit Navette und Liebstöckel, 8) sowie Champignons und Shiitake (mit PX-Vinaigrette, 8,5), dazu Cannelé, Meeräsche, Grapefruit (8,5). Alle mit den unterschiedlichen Meeresfrüchten komplex zusammengestellt und trotzdem auf den Urgeschmack ausgerichtet. Dann folgt das
Brot für die nächsten Stunden: eine Brioche mit Kräutern, ein Maisbrot in Kürbisform sowie ein französisches Landbrot - alles aus der hauseigenen Backstube. Französische Butter darf natürlich auch nicht fehlen (8,5). Einen in jeder Hinsicht derart gelungenen Start hatte ich lange nicht.
Der erste reguläre Gang meines Fünfgangmenüs mit zwei Zusatzgängen erscheint: eine Art Dreierlei von Pilzen (plus Haselnuss, Guanciale) mit einem tarteähnlichen Gebilde auf dem Hauptteller, einer Art Pilzkeks auf einem Nebenteller und einer Brühe. Das wäre hinreichend komplex für eine starke Wertung, irritiert aber mit der (kalten) Temperierung des Haupttellers. Das muss warm kommen, da würde ich ein klares Statement abgeben (7,5). Es folgt die Anlehnung an (und vermutlich Abwandlung) eine(r) Kindheitserinnerung des Chefkochs, eine knusprig-kross gebackene Galette mit Krustentierschaum, Kaisergranat, Sauerampfer und Ossietra-Kaviar. Sehr sehr gut, aber wieder leicht zu kalt (8,5). Dann folgt eine Art Paella mit dunklem, stark gebratenem und z. T. am Tellerrand angesengtem Reis, hochwertigen Meeresfrüchten und Krustentierschaum (8,5). Muy bueno - très bien.
Der Hauptteil des Mahls startet mit Froschschenkeln, in Knoblauch paniert und mit Gemüse angerichtet. Hier ist nicht nur das Gemüse erstaunlich plump zubereitet und die Panade gibt nicht viel Geschmack her, auch überzeugen die Froschschenkel nicht, wobei mir hier zugegebener Maßen auch die Vergleichsmöglichkeiten fehlen (6,5). Eine Rotbarbe mit Gemüse lässt die Wertung dann wieder nach oben schießen: Hier glänzen die Qualität des Fisches sowie die Intensität von Tomate und Paprika; der Jus ist regelrecht Weltklasse ("nur" 8,5, da wieder merklich zu kalt). Den Abschluss des Hauptteils bilden Stücke von in Frankreich gezüchteter Taube (die auch am Tisch präsentiert wird), mit Beeren, Fenchel und Shiso, dazu ein Teller Gnochetti im Jus, der gewöhnungsbedürftig aussieht. Gegen die Qualität des Fleisches ist nichts einzuwenden, mir gibt aber der Geschmack nichts. Fettig, nichtig, hält nicht an - vielleicht bin ich aber auch nur ein (Tauben-)Banause (6,5).
Das Dessert folgt mit Feige, Himbeere, Limette und Creme Fraiche. Wenn man von den raren Himbeermomenten (in unterschiedlicher Konsistenz) etwas erwischt, ist das extrem intensiv, auch die Feigen sind großartig. Die eher lustlos aufgeschaufelte und durchschnittliche Creme Fraiche, welche gleichwohl ein präsenter Bestandteil des Gerichts ist, dürfte aber an dieser Stelle m. E. nicht sein (8). Den Abschluss macht ein Schokoladenkuchen - auch an meinem Einpersonentisch in gleicher Größe wie anderswo (7,5) -, der wie auch die wirklich stylishen Menükarten mitgenommen werden darf.
Zu meinen Getränken, einem Mix aus Wein (Furmint, Pinot Noir) und alkoholfreien Begleitungen, gibt es wenig Spannendes zu sagen - zum Sommelierservice durchaus: hier wurde möglich gemacht, was geht, Flaschen neu geöffnet bzw. Coravin eingesetzt, als ich darum bat, und flexibel hantiert, wenn die Situation es erforderte. Auch der Service insgesamt ist sehr positiv hervorzuheben (und hätte eine noch höhere Bewertung erhalten, wenn nicht einige Zusagen wie der Gang in die Küche am Ende vergessen worden wären - Schwamm drüber).
Was lässt sich also zusammenfassend sagen? Ein Foodie sollte hier mal gewesen sein (sage ich ganz forsch, der selbst vergleichsweise spät den Weg gefunden hat). Die Atmosphäre packt einen nicht nur angesichts des Geistes von Eckart Witzigmann, Heinz Winkler, Hans Haas oder der berühmten Sommelière Paula Bosch. Nicht nur wegen den schrägen Drachenstatuen in orangenem Licht. Und nicht nur wegen der Offensichtlichkeit, dass alle Bediensteten dem Gast einen rundum schönen Aufenthalt gewähren möchten. Sondern auch angesichts der sehr gehobenen französischen Küche. Dass es für mich diesbezüglich noch klar Luft nach oben gibt, hat vermutlich primär mit meinen persönlich-subjektiven Präferenzen zu tun. Der Tatsache, dass eine Abrundung der Geschichte mit der erneuten Verleihung von drei Sternen für dieses Denkmal deutscher Küchenkunst durchaus vertretbar wäre (wenn kleine Hemmnisse abgeräumt werden), steht dies in keinster Weise entgegen.
Fazit
Ambiente 10
Service 8,5
Getränke 8,5
Essen 8,1
Gesamtbewertung 8,7
Was die anderen sagen
Zum Tantris sagen viele etwas - über die Jahrzehnte. Hier hat eine eigene Recherche mehr Sinn als eine Auswahl durch mich.