Troyka: From Russia with Love

Die Geschichte hinter dem Restaurant

Erkelenz ist nicht Moskau. Doch Erkelenz hat etwas, das Moskau nicht (mehr) hat - und auch sonst niemand in Europa: einen Michelinstern für russische Küche.

Dieser prangt seit kurz nach der Eröffnung 2021 am Firmament des Lokals einer — Troika — der Köche/Sommeliers Alexander Wulf, Marcel Kokot und Ronny Schreiber, die hier alle etwas zum Gesamterlebnis beisteuern. Da es in einer vernetzten, globalisierten Welt bekanntlich gilt, einen solchen unique selling point auch angemessen an Frau und Mann zu bringen, sind die drei medial äußerst präsent und engagiert, was ein Blick auf ihre gut gepflegte Homepage verdeutlicht: Kitchen Impossible, Kochkurse, Events, ein Shop. Engagement für die Völkerverständigung mit Russland, aber auch für die Ukraine (was dem Besuch auch den letzten Rest schlechten Gewissens nimmt, was viel über unsere (meine) Unfähigkeit aussagt, das kriegerische, autoritäre Verhalten eines Regimes von Landesbräuchen, zumal auf der Mikroebene in Erkelenz, zu trennen).

Alexander Wulf, vielleicht der Primus inter Pares der Troyka, wurde in Sibirien geboren, wuchs in Kasachstan auf und flüchtete mit seiner Familie 1992 nach Deutschland, in den Kreis Heinsberg westlich von Düsseldorf. Hier begann er zu kochen. Er war früh „Culinar Europameister“ und trat 2003 die Stelle als Sous-Chef im Gasthaus Krönele in Österreich an, bevor er 2004 in die Sternegastronomie ging - ins St. Jacques in Heinsberg. 2008 erkochte er seinen ersten Michelin-Stern. 2018 übernahm er zusammen mit seinen jetzigen Geschäftspartnern die Küche der Burgstubenresidenz und fing hier schon an mit russischer Haute Cuisine. Innerhalb kürzester Zeit waren sie als Team so eingeschweißt, dass man bald von einer bzw. DER Troyka sprechen konnte. Daneben agierte Wulf als Fernsehkoch im WDR und gewann Shows wie Das Perfekte Dinner oder Ready to Beef.

Jenseits von Erkelenz: Das Troyka von Alexander Wulf, Marcel Kokot und Ronny Schreiber

Die Erfahrung

Das Restaurant ist selbst für Erkelenzer Verhältnisse in der Peripherie gelegen, nämlich in einem von Wiesen umgebenen Wohngebiet. Die Einrichtung ist schlicht-modern, man blickt von fast allen Plätzen in die vergleichsweise große Küche. Der Chef’s Table ist hier schon ziemlich cool. Auch cool: Das Besteck findet man in einer Schublade unter dem Tisch. Ein munteres Gefühl, an einem lässigen und zeitgemäßen Ort zu sein, stellt sich ein.

Den Auftakt macht eine Troyka von Kohlrabi mit unterschiedlichen Zusatzaromen, die treffsicher Bitterkeit, Süße und Umami ausstrahlen. Alles ist in seiner Frische und Klarheit beeindruckend (8,5). Das bald gereichte Roggendinkelbrot aus regional verwurzelter Backstube wird durch eine gut abgestimmte Misobutter bereichert, von der man den ganzen Besuch über seine Finger nicht lassen kann (8). Als nächstes wird eine Gurkenkaltschale mit Sorbet, Malzbrot und Smetana serviert, die wieder super frisch, klar und rein im Gemüsegeschmack daherkommt und mit zarter Schärfe erfreut (8). Eine Sellerie-Apfel-Kreation mit Apfelschaum, gebackenen Schalotten und eingelegten Morsbeeren ist geschmacklich stimmig, aber man muss sich an die Süße so früh im Menü erst mal gewöhnen. Wenn das geschehen ist, wechseln sich Säure, Bitterkeit, Süße und Salz am Gaumen ab und vereinen sich, ohne jedoch besonders lang bzw. intensiv nachzuhallen (7,5).

Ich habe ein bisschen upgegradet und jetzt erscheint ein signature dish des Hauses: Kuchen aus Gänseleberpfannkuchen mit gefrorener Leber und Schnittlauch, Lebereis sowie Kamtschatkabeeren (eine Art Johannisbeere). Hier bezeugt man einen doppelten Kontrasteffekt mit Schnittlauch und den Beeren, was schlichtweg toll im Mund ist. Das ist kurz vor der 9, aber ich vergebe etwas kleinlich 8,5. Auch hier gibt es dann Kaisergranat, in einer Version mit Pastinaken, Rote-Bete-Soße, einer Moscow-Mule-Essenz und Schnittlauch. Wieder sind alle Geschmacksrichtungen dabei, wieder so frisch und schön scharf. Der Teller ist eine Schüssel und - mit Verlaub - ziemlich blöd gewählt; dazu ist die Speise ein bisschen zu lauwarm, aber ansonsten hervorragend (8,5). Es folgt Saibling mit Muscheln, Safranschaum und Fenchelkimchi von einer ganz tollen Produktqualität; das Kimchi ist an dieser Stelle die perfekte Ergänzung. Der Kaviar war aus, sonst hätte man hier upgraden können. Dann würden wir vielleicht von 9 aufwärts sprechen (8).

Als weiteres signature dish folgt nun ein Kalbsbries mit Blumenkohl, Blaubeere und Kokosschaum sowie -püree. Dies ist (mir) deutlich zu intensiv (so mag ich die Grundzutat halt nicht) und unstimmig mit dem Blumenkohl und Kokos (das dürfte auch als objektives Urteil durchgehen) (6). Der nächste Gang macht das wieder wett: Lamm mit Letscho, Paprika, Kartoffelschaum und Champagnerkraut, dazu Pilmeni im Jus. Dies ist vielleicht mein bestes Lamm ever, wieder mit guter Schärfe; die Kartoffelkreation ist mindestens solide und die Pelmeni sind gar perfekt mit ihrem schmackhaften Teig und der umamigeschwängerten Lamm-Füllung; dazu das feinste Sauerkraut, das man sich vorstellen kann (9).

Der erste Nachtisch ist eine Königsberger Schnitte mit Nougat, Wilder Heidelbeere, Cassis-Sorbet, Minze und Honig. Wo einige Gerichte ein bisschen zu lau kamen, kommt dieser tatsächlich etwas zu warm (7,5). Die Praline mit Karamell, der Windbeutel mit Limette und die Praline mit Milchschokolade und Erdbeere sind nichts Besonderes, schließen wegen der flüssigen, dezent-geschmackvollen Erdbeere am Ende aber auf Sterneniveau ab (7).

Am Service beiße ich mir die Zähne aus. Einerseits ist meine Kellnerin sehr nett, zuvorkommend und professionell, leistet sich dann aber auch Fauxpas (die den anderen fairerweise nicht widerfahren). Sie spielt ihr Programm sehr freundlich ab, verfällt bei Rückfragen oder Anmerkungen aber in einen professionellen, wenngleich charmanten, Modus, der ein bisschen rüberkommt wie der “LmaA-Gang”. Während wir am Anfang sehr schnell zum nächsten Gang oder Getränk springen, folgen lange Pausen bei den Hauptspeisen. Und wie gesagt: Der Kellner am Nachbartisch erzählt authentisch und unterhaltsam aus seiner Biografie. Was er und alle anderen - außer meiner - auch machen: Die Gäste in die Küche einladen. Meine sieht sich das an, kommt aber nicht auf die Idee, diese Einladung auch an mich auszusprechen. Auch Wulf kommt mit ehrlichem Interesse an Feedback zu einigen Tischen, nicht aber zu allen (darunter, guess what: meiner). Da ich Uneinheitlichkeit als eine der Service-Todsünden einstufen würde, spreche ich es am Ende an, deutlich, aber nur meiner Kellnerin gegenüber, um sie nicht vor anderen bloßzustellen. Sie ist diesmal wirklich offen für das Feedback, will die Punkte an die Chefs weitergeben, und als sich dann einer der Troyka am Ende aufmerksam und dankbar verabschiedet, bin ich versöhnt und kann mich wieder guten Gewissens auf das schöne Gefühl im Bauch konzentrieren.

Die Getränkeauswahl ist hier umfangreich. Es gibt selbst kreierte alkoholfreie Drinks mit Tee, Roter Bete, Schwarzer Johannisbeere und Kokosessig, ein selbstgebrautes Pale Ale und Weine auch aus Russland (Krasnodar), Libanon, Armenien, Japan, Kanada und den Niederlanden - neben Klassikern und Entdeckungen aus den Standardnationen. Alles fair bis moderat kalkuliert; eine ungewöhnliche, interessante Auswahl, die einen mit Freude für eine Weile unterhält. Im Gegensatz allerdings zum Sommelier, mit dem man sich mangels Präsenz nicht unterhalten kann. Man sieht, dass hier Getränke mit Herzblut und Ambition behandelt werden.

Dem Reflex, semipolitische (und im Endeffekt entrückte bzw. pietätlose) Appelle zur Völkerverständigung auf Basis eines solchen Essens aufzugreifen, widerstehe ich, und überlege mir stattdessen folgendes: Da Wulf sich ja in der Fernseh-Koch-Szene heimisch fühlt, wünscht man sich hier Christian Rach herbei, der nur drei Sachen macht:
1. Sicherstellen, dass alle Servicekräfte das einheitliche Programm verfolgen
2. Die oft erstaunlich unpassenden Teller austauschen
3. Statt Kalbsbries den Lebergang ins Standardprogramm nehmen
Das wäre sein kürzester Einsatz überhaupt - und vermutlich derjenige mit dem beeindruckendsten Endergebnis.

Also für heute (und die nächsten Jahre) eine Challenge: wer besseres russisches Essen irgendwo außerhalb Russlands findet, bekommt von mir eine Einladung zum Kalbsbries-Essen - im Loumi.

Fazit

Ambiente 8
Service 8
Getränke 8
Essen 7,9

Gesamteindruck 8

Was die anderen sagen

Wie geschrieben: Über Alexander Wulf findet man alles Mögliche, wenn man die einschlägigen Medien durchstöbert. Klassische Berichte der (älteren) Bloggergarde gibt es indes weniger.

Der Große Guide äußert sich positiv und beschreibt einen tollen Abend im Restaurant, was - wenn ich nicht selbst wüsste, wie gut es hier ist - in jedem Fall Lust macht.

Gusto Online beschreibt differenziert.

Die anderen scheinen das Restaurant noch nicht zu kennen bzw. haben es noch nicht auf die Liste gesetzt. Wenn die üblichen Mechanismen der Szene (v. a. ausgezeichnete Küche) greifen, sollte sich dies bald ändern.

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