Victor’s Fine Dining: Von Paris nach Tokyo

Die Geschichte hinter dem Restaurant

Eigentlich dachte ich, dass bei so vielen Highlights innerhalb weniger Tage ein Gewöhnungs- und Abstumpfgefühl eintritt. Das ist so nicht der Fall. Vielmehr befinde ich mich in einem surrealen Zustand, der im Sonnora seinen Extrempunkt erreicht. Mit Victor's Fine Dining by Christian Bau wartet dann ein weiteres Restaurant, an dem meine Erwartungshaltung kulminiert - befördert durch ein großartiges Rinderfilet mit Kaviar auf einer Veranstaltung Anfang des Jahres und die begeisterten Bewertungen überall.

Christian Bau wurde in Baden geboren und absolvierte seine Kochlehre und die erste Praxiserfahrung in der Region; auch seinen Grundwehrdienst leistete er im Umkreis ab. 1993 erweiterte er seinen Radius etwas und wechselte zu Harald Wohlfahrt in die Schwarzwaldstube nach Baiersbronn, wo er bald Souschef wurde. 1998 zog es ihn dann nach Schloss Berg in Perl-Nennig. Im Victor’s Fine Dining by Christian Bau (ehemals Victor’s Gourmet-Restaurant Schloss Berg) erwarb er im ersten Jahr den ersten Stern, ein Jahr später den zweiten und 2005 den dritten. Als zunächst inoffizieller (und seit 2019 offzieller, vom japanischen Ministerium für Landwirtschaft ausgezeichneter) Ehrenbotschafter für die europäisch-japanische Küchensynthese schuf er etwas Neues, Einzigartiges auf dem Feld des Fine Dining in Deutschland. 2018 erhielt er sogar das Bundesverdienstkreuz für seine Verdienste als „Meister der Kochkultur und kulinarischer Botschafter Deutschlands“. Wenige Tage vor meinem Besuch stellten Bau und sein Team die Verpflegung bei den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit 2025 in Saarbrücken.

Über das Restaurant und die Legende Bau wurde viel geschrieben; fast mehr noch über den angeblich so skurrilen Gegensatz der kulinarischen Erfahrung zum leicht abgeratzten und in Out-of-time- bzw. Sanatoriumsatmosphäre dahin siechenden Hotel Victor’s Residenz Schloss Berg. Hier unterscheiden sich andere Foodblogger von meiner Wenigkeit, genieße ich doch zugegebenermaßen den römischen Papp-Prunk mitsamt nettem Pool, schöner Aussicht und aufmerksamem Personal mehr, als ich für möglich gehalten hätte.

Die Erfahrung

Das Restaurant selbst ist angemessen elegant, gemütlich, (vom nasszellenartigen Kamin mal abgesehen); etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass man angesichts der Anordnung der Tische die anderen Gäste direkt anschaut, aber so what. Die Playlist wartet mit seichtem Pop auf und das Menü kann beginnen.

Den Anfang der Amuse-Bouches macht Japanische Garnele mit Amela-Tomate. Die in diesem Fall angenehme Mehligkeit der Garnele, eine mir völlig unbekannte, in gewisser Weise Pumpernickel-mäßige Tomate und der vorsichtig dosierte, feine Kaviar setzen ein Gebilde zusammen, das ein Wunderland des Geschmacks eröffnet (10). Mit Lachsbauch, japanischem Ingwer und Apfel, Gänseleber und Unagi sowie Wagyu-Ox mit Räucherfisch landen wahre Kunstwerke der Vielfalt auf dem Tisch - auch nordisch inspiriert, nicht ganz so intensiv wie der Start, aber trotzdem exzellent (8,5).

Eine Auster mit Buttermilch-Wasabi und Gurke offenbart eine gewaltige optische Palette in einer kleinen Porzellanauster. Die Algenchips sind das Beste, das ich aus Algen kenne; die Auster selbst ist allerdings gar nicht so einprägsam (9). Der Thunfischbauch mit Kaviar und Nori-Tartelette ist von phänomenaler Qualität, aber nicht besonders intensiv (8,5).
Es folgt Königskrabbe mit Dashi, Zitrusfrüchten, Avocado und Private-Selection-Kaviar: Cremigkeit, Nussigkeit, Salzigkeit, leichte Schärfe - exzellent (9). Ein Gericht mit Thunfisch, Entenleber, Winterrettich und Seegras-Ingwer-Vinaigrette stellt sich als hochinteressante Kombination heraus, die ihre geschmacklichen Möglichkeiten indes nicht voll ausschöpft (8).

Das Sonnenblumenkornbrot ist wunderbar; andere Sorten und normale Salzbutter sind wenig ergiebig; die Sojabutter erscheint mir nicht ausgereift (8). Es folgt Agnolotti vom Milchkalb und Froschschenkel mit Trüffel, Zwiebelconfit, Brunnenkresse und Kalbsbrustjus - äußerst schmackhaft, aber wieder keine maximale Geschmacksintensität und Länge (8). Danach kommt in Krustentierbutter pochierter und gegrillter Hummer mit Palmherz und frittiertem Brokkoli. Der Hummer ist etwas zäh und leicht zu kühl, die Gemüsenuancen sind derweil sehr bereichernd (8). Bei Steinbutt, Artischocke, Spinat in Vin Jaune sticht die herausragende Qualität des zwischen Bretagne und Normandie gefangenen Fisches hervor; die Gemüse können indes nur hintergründig begleiten und überzeugen wieder nicht durch besondere Intensität (8,5).

Als erstes Dessert gibt es Kiwisorbet mit Matchacreme und Amazakeschaum und es wird schnell klar, dass vom Nachtisch hier sehr viel zu erwarten ist. Die Frische und die fruchtige Kiwi überwältigen, die intensive Matchacreme fügt sich harmonisch ein (9). Dann erscheint der bau.stein - seit 2015 Baus signature dessert. Pandan, Kokos, Yuzu-Eis, exotische Früchte. Alles explodiert am Gaumen wie ein Feuerwerk in den Tropen (9). Die Japanische Melone und Okinawa-Mango verwundern: bei guter Schärfe sind Konsistenz und Intensität der Früchte, v. a. der Mango, mittelmäßig (7).

Die Süßigkeiten und Schokolade (Japanischer Ice Coffee, Matcha-Konfekt, Johannisbeerkeks, Zitrusgelee, Schwarzwälder-Kirsch-Waffel, Yogurette, Bitterschokolade-Olive, Erdnuss-Yuzu, Kokos mit Ananas und Passionsfrucht) haben Höhen und Tiefen (8).

Die Getränkekarte legt einen starken Schwerpunkt auf bekannte Topgüter, weniger auf interessante Entdeckungen; alles recht normal bepreist. Es gibt hochwertigen Sake und einige fair bepreiste 0,375er Flaschen. Nina Mann ist eine der bekanntesten Sommelières des Landes und auch bei uns eine Bank. Sie wirkt allerdings ein bisschen gehetzt, was im Endeffekt für eine schnell zusammengestellte Auswahl sorgt - mit dem Hausaperitiv (ein Molitor-Sekt mit Yuzu), Sake, einem Maximin Grünhaus Abtsberg Superior und einem Salwey Spätburgunder GG. Alles solide (und bis auf den Sake bekannt), nichts wirklich aufregend. Das war am Vorabend anders.

Blöd, jetzt alles mit dem Sonnora zu vergleichen, aber auch der Service ist deutlich weniger enthusiastisch, nicht so unterhaltsam und humorvoll. Dafür aber ausgesprochen aufmerksam und professionell: beispielsweise wird der mitanwesende Linkshänder sofort als solcher identifiziert und das Besteck umgestellt. Unterm Strich in meiner ganz subjektiven Einschätzung so professionell-beflissen, dass der Spaß etwas auf der Strecke bleibt, was den Unterschied (auf hohem Niveau) zum Sonnora ausmacht.

Eine erstaunliche Beobachtung nehme ich noch mit: erst am Ende wird klar, was es alles an Zusatzgängen gegeben hätte. Käse und einige signature dishes hat keiner angeboten, obwohl sie verfügbar waren und man mir ziemlich leicht etwas als "must try" hätte aufschwatzen können. Immerhin also kein upselling hier, aber auch ein bisschen schade. Christian Bau kommt auf unsere Bitte hin aus der Küche, aber ich habe selten einen so gequälten körperlichen Ausdruck ob des unverhofften Aufeinandertreffens mit Gästen erlebt. Naja, er ist hier ja auch nicht als Entertainer angestellt.

Damit endet der Dreiklang der westlichen deutschen Dreisternerestaurants. Victor's Fine Dining macht einen würdigen Abschluss und Christian Bau beweist, dass er seinem Nimbus weitgehend gerecht wird. Die Kompositionen sind hochgradig kunstvoll, die Zusammenstellungen der Zutaten mitunter genial. Von der "Familienzusammenführung" französischer und fernöstlicher Küche in Deutschland und der entsprechenden Prägung eines besonders feinen, qualitätsfanatischen, eigenen Stils ganz zu schweigen.

Trotzdem gehe ich mit einer leichten Enttäuschung hier raus. Die Erwartungshaltung war zu hoch. Die Aromen sind nicht explodiert wie bei Vildgaard. Sie hielten nicht so lang an wie bei Rambichler. Veränderten nicht ihre Nuancen am Gaumen wie bei Raue. Der Mundraum war nicht so intensiv, stimmig belegt wie bei Hartwig.

Ein großes Restaurant. Aber - für mich - keines der Allergrößten.

Ambiente 8,5
Service 8,5
Getränke 8,5
Essen 8,5

Gesamteindruck 8,5

Was die anderen sagen

Julien Walther vergibt für Bau bei seinem letzten (dokumentierten) Besuch 8,9/10 Punkte.

Matthias Ruhl war erst kürzlich da und vergibt 19/20 Punkte, hat aber auch kleinere kritische Anmerkungen.

Andy Hayler sieht klare 20/20 Punkte.

Die Küchenreise sieht das Essen bei 9+/10 und würde unbedingt wiederkommen.

Bernd Grill vergibt 20/20 Punkte.

MacClaus sieht die Speisen bei 9,5/10, den Service ebenso, das Ambiente bei 8/10.

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Waldhotel Sonnora: Am Ende der Skala