Épicure: Referenzen des Hedonismus
Die Geschichte hinter dem Restaurant
Alles hier hat Geschichte: das Hotel Le Bristol, in dem Konrad Adenauer 1963 den Élysée-Vertrag mit Charles de Gaulle finalisierte, aber auch u. a. Josephine Baker und Charlie Chaplin nächtigten, sowie das Hotelrestaurant Épicure, seit 2009 durchgehend mit drei Sternen ausgezeichnet. Hier stieg Eric Fréchon zu einem der besten Köche der Welt auf und ging 2024 als Legende. Es übernahm Arnaud Faye, der zuvor an verschiedenen Orten in Paris und von 2016 bis 2024 als Küchenchef des Zweisterners La Chèvre d'Or in der Nähe von Monaco gewirkt hatte.
Interessant: Faye ist leidenschaftlicher Pizzabäcker und wurde 2023 französischer Meister sowie 2024 Weltmeister.
Julien Walther sieht das Épicure, allerdings unter Fréchon, als eines der wenigen Restaurants, die ihn umfassend geprägt haben, als Best-of-the-Best. Doch Fréchon hat sich nach Marokko abgesetzt und es muss weitergehen, auch für das Épicure. Man kann davon ausgehen, dass viel auf dem Spiel steht in einem solch prestigeträchtigen Haus, nicht zuletzt der dritte Stern. Und sich die Entscheider im Hintergrund viele Gedanken gemacht und Chancen/Risiken abgewogen haben, bevor sie an Faye herangetreten sind. Man kann also annehmen, dass er als würdiger Nachfolger angesehen wird.
Gleichwohl geben sich viele Beobachtende larmoyant, trauern Fréchon hinterher, und bewerten das “neue” Épicure deutlich unterhalb des “alten”. Der Guide Michelin sieht das nicht so und hebt die modernere, leichtere Küche Fayes hervor. Außerdem ist das Team weitgehend intakt geblieben und so ein Restaurant bei drei Sternen zu halten ist wahrlich keine Leistung, die ein einzelner, sei es auch der omnipräsente Vordenker, erbringen kann. In jedem Fall ist es doch ungemein interessant, wie ein neuer Chefkoch eine solche Legende angeht und welche Akzente er der Küche verleiht.
Für den Moment blende ich die Vorgeschichte komplett aus, begebe mich in einen - abgewandelten - Rawls`schen Schleier des Nichtwissens und auf den Weg zum Hotel Le Bristol.
Die Erfahrung
Der Eintritt ins Hotel und Restaurant zieht einen schon direkt in den Bann. Pracht und Prunk sind da ästhetisch, maßvoll und sehr angenehm. Platz auf der Terrasse, in einem lauschigen Garten, mit Brunnen, viel Grün und sprießenden Blüten allenthalben. Eine Oase in der Großstadt, wie sie kaum schöner (und in Sachen Zimmerpreise teurer) sein kann.
Der Service ist von Anfang bis Ende auf Weltklasse-Niveau. Warum? Weil zu den erwartbaren Features wie perfekter Kompetenz und individuell geschneiderter Zugewandtheit echter Enthusiasmus, Humor und das gewisse Plus darüber hinaus kommen. So erhält die begleitende Achtjährige nicht nur ein sensationelles "Kindermenü" (das sie gegen ihre - anfangs - hungrigen Eltern mit eisernem Willen und unter Androhung von Gewalt verteidigen muss). Sie soll auch die hochwertigsten Zutaten des Elternmenüs (vor-)kosten: edelsten Trüffel, Kaviar auf Perlmuttlöffel u. a. Die Servicekräfte schauen sie daraufhin an, als sei sie die Königin, die über Leben und Tod der Untertanen urteilt. Mit echtem Interesse, ob diese Speisen gefallen und den jungen, McDonald's-gestählten Gaumen richtig kalibrieren mögen. Am Ende gibt es die ausgewählte pakistanische Mango für die frische Eiscreme nicht mehr, wofür sich die Servicekräfte bei ihr entschuldigen und ein frisch zubereitetes Eis von besonders exklusiven Waldbeeren als Alternative offerieren. "Wenn es nicht zur Zufriedenheit ist”, sagt der Kellner nur halb im Scherz, “gehen wir zum Chef in die Küche und Du sagst Herrn Faye, wie er die Eiscreme verbessern kann”. Die Eltern sind nur noch fassungslos.
Tja, das Essen. Startet mit Amuse-Bouches: Pfeffercracker, welche die optimale Einbindung von Schärfe und die Produktqualität bei Pfeffer neu definieren; Radieschentartelettes in pur, frisch, überwältigend; Austern, die sofort abenteuerliche Assoziationen der Bretagne auf den Plan rufen - wieder nicht überladen, von ergreifender Qualität und ausgewogenem Geschmacksbild (9). Das Brot mit Zitronenbutter ist die Perfektion der Pfisterkunst schlechthin, wie frisch aus einer himmlischen Backstube, und das in einer verblüffenden Schlichtheit (10).
Der Auberginenkaviar mit Gemüse fasziniert als Kaleidoskop eines Gemüsegartens mit einer Aromendichte, die ich hinsichtlich Gemüse nur einmal bei Tomaten im Nerua in Bilbao erlebt habe (10). Darauf folgt Krabbe aus der Bretagne, ein geschmackliches (und durchaus auch optisches) Kunstwerk mit zahlreichen Komponenten auf zwei Tellern. Diese Komplexität, der Geschmacksreichtum, die Hochwertigkeit, die Abgestimmtheit, die Länge am Gaumen, der Reichtum insgesamt - vermutlich steht hier das beste Gericht meines Lebens vor mir, etwas Unvergessliches für die exklusive Hall-of-Superfame (10 und all-time favourite).
Ein Sellerie-Trüffel-Risotto lebt natürlich vom sensationellen Trüffel, aber auch von allen anderen Zutaten (9). Zum Petersfisch steuert die Küche bzw. der Service dann den Kaviar des Hauses bei - müßig, die Qualität hier erneut herauszustellen. Ergreifend - und die Tochter war auch zufrieden (10). Rotbarbe mit Artischocken vereint wieder alle sensationellen Geschmäcker in einem Gericht - man glaubt längst, man träumt (9).
Vielleicht fällt es auf: das ist klassisch französische Küche, die aber mit kaum Fleisch aus- und tatsächlich relativ leicht daherkommt. Nur ein echter Fleischgang wird serviert: Pigeon from Pornic mit Pfifferlingen und Kirschen. So gefällt mir das: auf einen Gang reduziert und dafür die Perfektion auf dem Teller. Besser kann Taube nicht sein, nicht mal theoretisch (10).
Der Käsewagen beeindruckt erwartungsgemäß; ich lasse den Service die Auswahl treffen. Was dann dargereicht wird, ist optimal kuratiert, folgt gar einem Aufbau in den Olymp des Milchwarenhandwerks. Die dazu gereichte Olivencreme wird mich Oliven (die ohnehin zu meinen Lieblingsprodukten gehören) noch mal in ganz anderem Licht sehen lassen (10).
Ein Wagen aus dem Himmel
Die Desserts fallen ein kleines bisschen ab und sind damit noch immer besser als das, was in den meisten Dreisternerestaurants am Ende des Menüs gereicht wird: intensiv aromatische Erdbeeren mit Shiso (8,5), Pfefferschokolade, welche zum einen die Kakaofrucht zelebriert und zum anderen das (Pfeffer-)Motiv vom Anfang kongenial aufgreift (9). Den Abschluss machen exzellente Petits Fours (8,5).
Tatsächlich trinke ich neben dem Menü auch noch einige der besten Weine meines Lebens. Aus der Champagne, dem Burgund (weiß und rot), Sauternes. Jeweils eine Alternative zu Krug/Leflaive/DRC/Yquem. Preislich versöhnlicher. Genauso herausragend. Alles auf individuell erarbeitete Empfehlung des Sommeliers, der offensichtlich ein Gedankenübertragungsinstrument erfunden hat, mit dem er Bedürfnisse aus meiner Seele liest, die ich so nie in Worte hätte fassen können.
Angesichts des nicht maximalen Notenschnitts wird es irgendwo, in einem der Universen, vielleicht Lichtjahre entfernt, vielleicht sogar auf unserer Erde, eine Steigerungsmöglichkeit geben - soweit die Theorie. Praktisch kann ich mir die aktuell nicht vorstellen. Ein neuer Referenzstern ist aufgegangen - er dürfte lange in seiner wundervollen Anmut strahlen.
Fazit
Ambiente 10
Service 10
Getränke 10
Essen 9,4
Gesamteindruck 9,7
Was die anderen sagen
Es gibt ungezählte Berichte zu Fréchons Épicure. Seit Faye übernommen hat, war offenbar keiner der bekannten Fine-Dining-Blogger dort.
Auch diese Lücke wird gefüllt werden.