Sühring: We Germans

Bangkok lockt immer mit Erlebnissen, welche die eigene Perspektive verschieben, neue Horizonte öffnen und grundsätzliche Reflexionen zulassen. Voraussetzung ist, dass man bereit ist, sich treiben zu lassen, Planung im Vorfeld zu minimieren und weg zu kommen vom Altbekannten des Alltags. Vor diesem Hintergrund ist eine Reservierung in einem deutschen Restaurant so ziemlich das letzte, das einem in Vorbereitung einer solchen Reise in den Sinn kommt. Es bedurfte schon der Androhung körperlicher und seelischer Gewalt durch einen Freund, der kürzlich dort gewesen war, um mich umzustimmen. Allerdings nur vor dem Hintergrund einer Maximaldosis internationaler Küche (indisch, Thai, japanisch, Strassenthai, chinesisch) in den Tagen davor. Die Hoffnung: dann wieder Sehnsucht nach der Küche der Heimat zu entwickeln. Es zeigt sich allerdings, dass solche Autopsychotricks hier gar nicht nötig sind.

Am Abend stehe ich vor einer Villa in einem mit kleinen Gassen versehenen Viertel der Stadt, abseits der Hochhausschluchten z. B. von Sukhumvit. Das Innere der Villa lädt ein, der Platz am Chef's Table in unmittelbarer Nähe zur Toilette zunächst weniger, erweist sich dann aber als unproblematisch.

Blick auf Küche und Anrichte - anderswo in der Villa unterscheidet sich die Inneneinrichtung erheblich

Die ersten Gänge hauen mich regelrecht um. Nicht nur sind sie qualitativ und geschmacklich herausragend. Auch die Deutschland-Referenzen beim Lauch (8,5), der Jakobsmuschel mit Kürbis (8,5), v. a. aber dem Brathering (10) und Labskaus (10) sind klar und trotzdem divers komponiert, erinnern an Omas Küche und zugleich die große weite Welt.

Es folgt ein Enleta genanntes Entenlebersandwich, das die Hanuta-Form und sogar eine vergleichbare Verpackung aufweist (8,5) - ein origineller Gag.

Mit Königskrabbe (9), einer sensationellen - natürlich typisch deutschen - Brotauswahl (9) und einer Wildpastete (8,5) geht es in die nächste Runde.

Es folgen Char-Fisch (8,5) und Hummer (9), bevor eines der signature dishes auf dem Tisch steht: Spätzle à la Sühring, die zwar gar nicht so viel mit der Leibspeise meiner schwäbischen Heimat zu tun haben, was aber verkraftbar ist, da sie schlicht viel besser sind (9). Zum Hauptgang bekomme ich ein Stück Wagyu. Kurz und schmerzlos: Nummer 2 in meiner ewigen Rangliste nach einem Göttersteak in Mendoza, Argentinien (10).

Das erste Dessert, Mikan-Orange u. a. mit Kamille, weiß mit intensiver Frucht und schönem Aromenspiel zu überzeugen (8,5). Dann folgen wieder deutsche Klassiker: Bratapfel (9), Eierlikör (10) und ein süßer Abschluss (9). Und daraufhin stöbert man noch ein bisschen in den Rezepten der Oma Sühring.

Nach einem langen Plausch mit dem Sous Chef über das Restaurant, Bangkok, Dänemark, Kopenhagen, Gott und die Welt und mit einem der Sühring-Brüder über das Restaurant, Bangkok, Deutschland, Berlin, Gott und die Welt sowie die Chance, dass sie mal ein Restaurant in der Heimat eröffnen (Ergebnis: durchaus realistisch), ruft man mir in der Lobby ein Taxi - zu Agnes Obels "The Curse". Viel schöner kann ein Abend nicht zu Ende gehen (geht er auch nicht, denn ich fahre noch in den BKK Social Club, aber es wäre schon ein monumentaler Abschluss gewesen).
Noch lange wirkt die Erfahrung nach: das mit hoher Wahrscheinlichkeit beste deutsche Restaurant bzw. deutsche Essen der Welt, das sich nicht in Berlin oder Buxtehude findet, sondern in Bangkok. Das sagt einiges über hiesiges Klientel, Ansprüche und wohl auch Komplexe aus. Aber vielleicht erweisen uns die Brüder, wenn der dritte Stern - vermutlich sehr bald - am Firmament funkelt, in ihrer, unserer Heimat ja dann doch einmal die Ehre, und wir begründen eine neue Ära deutschen Fine Dinings.
Man wird ja noch träumen dürfen - zumal, wenn der Traum bei näherem Hinsehen so verdammt realistisch erscheint.

Fazit
Ambiente 9
Service 9
Getränke 8,5
Essen 9,1

Gesamtbewertung 9

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One Bite in Bangkok